
Drucksache 11/4611
Deutscher Bundestag — 11. Wahlperiode
Eine solche Prüfung könnte das Bundeskartellamt
nicht nur im Rahmen einer Zuständigkeit nach Art. 88
EWGV und A
rt
. 9 Abs. 3 VO Nr. 17/63 vornehmen;
aber auch im Rahmen einer nationalen Prüfung nach
§
103 Abs. 5 würde die Unzulässigkeit einer Durchlei-
tungsverweigerung nach den Wettbewerbsregeln des
EWG-Vertrages einen maßgeblichen Entscheidungs-
grund darstellen. Die Anwendung der Wettbewerbs-
regeln des EWG-Vertrages auf die Versorgungswirt-
schaft wirft jedoch besondere Probleme auf. Beispiels-
weise könnte Art. 90 EWG-Vertrag in gewissem Um-
fang die Geltung der Wettbewerbsregeln für Energie-
versorgungsunternehmen einschränken, wenn sie als
Unternehmen anzusehen wären, „die mit Dienstlei-
stungen von allgemeinem wirtschaft
li
chen Interesse
betraut sind." Die Reichweite dieser Vorschrift in be-
zug auf Versorgungsunternehmen ist bisher weder
durch die Verwaltungspraxis der EG-Kommission
noch durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs ge-
klärt worden. Deshalb ist es nach Auffassung des Bun-
deskartellamtes zur Zeit nicht zweckmäßig, eine Lö-
sung dieser grundlegenden Probleme in dem be-
grenzten Rahmen eines Verfahrens einer nationalen
Kartellbehörde anzustreben. Das Bundeskartellamt
wird deshalb auch künftig davon absehen, mögliche
Verstöße gegen A
rt
. 85 f. EWG-Vertrag in der Versor-
gungswirtschaft von sich aus aufzugreifen. Sofern die
Beurteilung von Vereinbarungen und Verhaltens-
weisen nach deutschem Kartellrecht entscheidend
von den Bestimmungen des EG-Rechts abhängt,
wird das Bundeskartellamt eine Klärung durch ein
entsprechendes Verfahren der EG-Kommission an-
regen.
Im Zusammenhang mit der Überprüfung des sog.
Jahrhundertvertrages durch die EG-Kommission hat
das BMWi das Bundeskartellamt um eine Stellung-
nahme gebeten. Beim Jahrhundertvertrag handelt es
sich um eine Vereinbarung zwischen dem Gesamtver-
band des deutschen Steinkohlebergbaus einerseits
und der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke
und der Vereinigung Indust
ri
elle Kraftwirtschaft an-
dererseits aus den Jahren 1977 bzw. 1980. Darin ver-
pflichten sich die Stromerzeuger, von den deutschen
Bergbauunternehmen bestimmte Mengen deutscher
Steinkohle zu festgelegten Bedingungen zu beziehen.
Die damit verbundene Beschränkung des Anbieter-
wettbewerbs der beteiligten Unternehmen des deut-
schen Steinkohlebergbaus fällt unter den EGKS-Ver-
trag und ist deshalb nach § 101 Nr. 3 der Nachprüfung
nach dem GWB entzogen. Soweit durch den Jahr-
hundertvertrag auch der Nachfragewettbewerb der
Stromerzeuger nach Primärenergie für Verstromungs-
zwecke tangiert wird, ist die Anwendbarkeit des GWB
nach Auffassung des Bundeskartellamtes nicht durch
das 3. Verstromungsgesetz und die darin festgelegten
energiepoli
ti
schen Maßnahmen ausgeschlossen. Auf-
grund der Einordnung des Jahrhundertvertrages in
die Energiepolitik des Bundes sieht das Bundeskar-
tellamt jedoch im Rahmen seines Aufgreifermessens
davon ab, gegen diese Vereinbarung während der
vorgesehenen Laufzeit ein Verfahren einzuleiten.
Über die Tole
ri
erung eines gegebenenfalls über 1995
hinaus verlängerten Jahrhundertvertrages kann erst
entschieden werden, wenn dessen Inhalt bekannt
ist.
Der Energiebericht der Bundesregierung aus dem
Jahr 1986 enthält die Forderung an die Versorgungs-
unternehmen, bei der Strompreisgestaltung für strom-
intensive Industrieunternehmen die vorhandenen Dif-
ferenzierungsspielräume des Kartellrechts stärker
auszuschöpfen. Das Bundeskartellamt hat diese Pro-
blematik im Berichtszeitraum mit Verbänden und Un-
ternehmen beider Marktseiten erörtert und dabei die
im Tätigkeitsbericht 1985/86 (S. 102) aufgeführten
Ansätze erläutert. Es hat erneut darauf hingewiesen,
daß das kartellrechtliche Diskriminierungsverbot ei-
ner differenzie
rt
en Preisgestaltung für einzelne Ab-
nehmer und Abnehmergruppen nicht entgegensteht,
soweit ein Abweichen von den allgemeinen Preisen
sachlich gerechtfertigt ist.
Die Festlegung der Einspeisungsvergütungen für
Strom aus den regenera
ti
ven Energiequellen Wasser-
und Windkraft sowie aus der Kraft-Wärme-Koppe-
lung ist energiepolitisch von großer Bedeutung. Das
Bundeskartellamt hat sich wiederholt mit dem kartell-
rechtlichen Aspekt der Einspeisevergütungen befaßt
und sich gestützt auf § 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 um
angemessene Vergütungen für den in das öffentliche
Netz eingespeisten Strom eingesetzt. Im Berichtszeit-
raum ist nun in einer Ergänzung vom 27. Juli 1988 zur
Verbändevereinbarung zwischen VDEW und BDI/
VIK vom 1. August 1979 vereinbart worden, daß bei
der Festlegung der Einspeisungsvergütungen in Zu-
kunft nicht nur die vermiedenen variablen Kosten der
Stromerzeugung, sondern auch vermiedene Fixko-
sten berücksichtigt werden. Dadurch wird eine gene-
relle Erhöhung der Einspeisungsvergütungen er-
reicht. Das Bundeskartellamt hat den Verbänden mit-
geteilt, daß grundsätzliche kartellrechtliche Beden-
ken gegen das vereinbarte Vergütungsmodell ein-
schließlich der als Richtwerte aufgestellten Vergütun-
gssätze nicht bestehen, im Einzelfall jedoch eine an-
dere Beurteilung im Rahmen der Interessenabwä-
gung nach §§ 26 Abs. 2 und 103 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3
möglich ist. Allerdings ist eine generelle Besserstel-
lung einzelner Arten der Energieerzeugung z. B. der
Wind- und Wasserkraft nach Auffassung des Bundes-
kartellamtes kartellrechtlich nicht gerechtfertigt. Das
Bundeskartellamt hat deshalb entsprechende Forde-
rungen der Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Ba-
den-Württemberg e. V. und eines Windkraftwerkbe-
treibers in Schleswig-Holstein nicht unterstützt. Das
Bundeskartellamt teilt auch nicht die vom Oberlan-
desgericht Karlsruhe in einem Zivilrechtsstreit vertre-
tene, dort aber nicht entscheidungserhebliche Auffas-
sung (WuW/E OLG 4206 „Volleinspeiser"), daß eine
Vergütung, die die Erzeugungskosten des Einspeisers
nicht deckt, unangemessen sei und schon deshalb
eine unbil
li
ge Behinderung darstelle. Im Fa
ll
des
Windkraftwerkbetreibers ist die gegen den ablehnen-
den Bescheid der Landeskartellbehörde Schleswig
-
Holstein, die dem Antrag auf ein kartellrechtliches
Eingreifen zur Durchsetzung einer höheren Einspei-
sungsvergütung seitens der Schleswag AG nicht ent-
sprochen hatte, eingelegte Beschwerde zurückge
-
nommen worden.
Das Bundeskartellamt hat in Gesprächen mit den Ver-
bänden der Gas- und Stromwirtschaft Einvernehmen
darüber erzielt, daß unbeschadet divergierender
Rechtsauffassungen Konzessions- und Demarka
ti
ons-
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